Sonntag, 30. Oktober 2011

Äquatorpassage!

Hier schreibt die Schwester:

Heute ist es soweit - der erste Proto, David Raison mit TeamWork Evolution, wird in Salvador de Bahia eintreffen - und Björn wird den Äquator überqueren! Er befindet sich im Moment auf Rang 27 und hat noch 981 Seemeilen vor sich. Bruce Gailey liegt nur 40 Seemeilen vor ihm. Das Carbon Tea Tray ist also fast in greifbarer Nähe, theoretisch jedenfalls...
Zur Feier seiner Äquatorpassage hat Björn zwei Flaschen Hersbrucker Bier an Bord (zwaa Seidla, wie wir Franken sagen). Wir freuen uns mit ihm, dass er es bis hier so gut geschafft hat! Weiter so! Halte durch, Björn! Go, Rikki Tikki, go!

Freitag, 21. Oktober 2011

Noch 1870 Seemeilen

Hier schreibt die Schwester:
Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass Björn einen ganz guten Start in Madeira hatte ("Es waren bestimmt 20 Boote hinter ihm", so unsere Mutter und Augenzeugin). Umso verwunderlicher ist es, dass er in den ersten beiden Tagen auf den letzten Platz zurückgefallen war. Hatte er Probleme? Warum dieser Zickzackkurs? Aber nach acht Tagen auf der zweiten Etappe hat er sich inzwischen auf einen tollen 29. Platz vorgekämpft. Wir hoffen, dass Björn keine Probleme bekommt, wie es leider einigen anderen Seglern widerfahren ist - Mastbruch, Ruderbruch, Verletzung - und er weiter mit viel Rückenwind über den Atlantik rauschen kann!
Hier als Ergänzung noch ein paar Fotos von Björn und der Rikki Tikki im Hafen von Funchal und beim Start:

alle Fotos von Margarita Dane

Mittwoch, 12. Oktober 2011

The Race is on

Der Zwischenstopp auf Madeira war wie ein kleiner Kurzurlaub. Zum Glück nur kleinere Reparaturen an meinem Boot, die ein oder andere aber nicht ganz unwichtig. So hat sich z.B. das Rätsel gelöst, was auf halber Strecke zwischen La Rochelle und Madeira aus dem Mast heruntergefallen ist. Eine Mutter von der Befestigung für den Windanzeiger hatte sich gelöst und ein Gewinde offen liegen lassen, das möglicherweise der Grund dafür war, dass das Großfall bei meiner Ankunft hier halb durchgescheuert war. Schön solche Dinge noch vor dem Start zur eigentlichen Transatlantiketappe zu entdecken.
Ansonsten kann´s wegen mir jetzt losgehen. Die Zeit auf Madeira war schön, aber jetzt will ich endlich das eigentliche Rennen segeln. Mein Abstand zum Mittelfeld ist relativ gering, der 17. ist nur 5 Stunden vor mir. Es ist also noch jede Menge drin, hoffe ich. Für den Gewinn des Carbon Tea Trays muss ich ca. 4 Stunden auf Bruce und Ulf aufholen...
Bis in drei Wochen, dann von der anderen Seite des Atlantiks und des Äquators!

Freitag, 7. Oktober 2011

Madeira!

Aus einem kurzen Tiefschlaf schrecke ich auf, irgendwas war gerade anders an den hämmernden Geräuschen der Wellen an der Bordwand, die im einrichtungslosen Bootsinneren verstärkt werden wie in einer großen Trommel. Ich schäle mich aus meiner komfortablen Schlafposition zwischen all der Ausrüstung, die ich zum Gewichtstrimm auf der Luvseite verzurrt und verkeilt habe. An Deck erwartet mich eine pechschwarze Biscayanacht, es ist kurz nach Neumond und RIKKI TIKKI fährt in eine Dunkelheit hinein, in der man gerade noch die nächste Welle erkennen kann. Und die Effekte des fluoreszierenden Planktons. Im Heckwasser leuchten kleine und größere Punkte weißlich grün für ein, zwei Sekunden auf und erzeugen eine Art Feuerschweif, in zwei Metern Tiefe ist ein zweites Leuchtband zu erkennen, das von der Kielbombe erzeugt wird. Ich sehe mich nach möglichem Treibgut um und entdecke den Grund für das veränderte Trommeln am Rumpf: um den Bug herum wabert eine weitere Leuchtmasse von rechts nach links. Es ist ein Fischschwarm, die Fische springen immer wieder aus dem Wasser und prasseln dann gegen die Bordwand. Das Schauspiel ist wunderschön und unheimlich zugleich, es erinnert an Frank Schätzings „Der Schwarm“.
In den letzten Tagen in La Rochelle und während der gesamten ersten Etappe gibt es viele dieser Momente, in denen ich nur noch staune und mir immer wieder klarmachen muss, dass das alles wirklich passiert. Die Naturereignisse, das Ablesen der Position auf der Seekarte, wobei man feststellt, dass im Osten hinter dem Horizont Casablanca liegt und nicht die Ile de Groix, die überraschend große öffentliche Aufmerksamkeit, das Mitfiebern der Freunde zu Hause, das Gemeinschaftsgefühl unter den Seglern, all das ist einfach überwältigend.
Die unglaubliche Nervosität, die sich bis zum Start am 25.09. kontinuierlich aufgebaut hat, verschwindet, als mich das Motorboot aus dem Bassin des Chalutiers in La Rochelle durch die Hafenausfahrt schleppt während „Eye of the tiger“ lautstark läuft und die vielen Zuschauer applaudieren und „Bonne Chance“ rufen. Endlich hat das unerträgliche Warten ein Ende, es geht los.
Der Start gelingt nicht besonders gut. All der Trubel lenkt mich zu sehr ab, beim 8-Minuten-Signal knattert einer der beiden Hubschrauber, die Luftaufnahmen machen, über mich hinweg, sodass ich verpasse die Zeit richtig zu nehmen. Außerdem wird die Startprozedur anlässlich des Todes unseres Mitseglers Jean-Marc Allaire um eine Gedenkminute erweitert. D.h. nach dem Startschuss stoppen alle wie abgesprochen ihre Boote und segeln erst los, wenn über Funk das Ende der Gedenkminute signalisiert wird. Ich versuche mich aus dem Pulk herauszuhalten, bekomme trotzdem beim sehr leichten Wind das Boot nicht schnell genug in Fahrt und befinde mich sehr weit hinten im Feld, als ich die zweite Bahnmarke vor der Ile d´Oleron passiere. Egal, es sind ja noch 1100 Meilen.
Von Anfang an entwickele ich eine gute Bordroutine, die von den Terminen der Rennleitung unterstützt wird. Zwischen sechs und sieben wird es hell, dann gibt es ein kleines Frühstück. Um acht Uhr morgens und sieben Uhr abends UTC (universal time coordinated): Positionsmeldung an die Begleitschiffe über Funk. Der Bootsnummer nach wird man angefunkt, gibt seine Koordinaten an, wird nett gefragt ob alles in Ordnung ist, wie der Tag oder die Nacht war. Die Prozedur dauert etwa eine Stunde und bietet die Möglichkeit sich im Feld etwas zu orientieren. Wo sind die anderen, bin ich eher nördlich oder südlich bzw. östlich oder westlich? Wie weit sind die anderen etwa entfernt? Dazwischen, um fünf nach elf Uhr vormittags, kommt über die Kurzwellenfrequenz von Monaco Radio der Wetterbericht auf Französisch und Englisch, danach die aktuelle Rangliste. Die Stimme des Race Directors Denis Hugues ist nur schwer zu erkennen im Hintergrundrauschen und zwischen den Summtönen, die das SSB-Radio vom Autopiloten bei jeder Bewegung empfängt. Ich drehe kontinuierlich am Frequenz- und Gainregler um die Stimme möglichst verständlich zu halten während sie zwischen Darth Vader und Mickey Mouse hin- und hermoduliert. Mit dem Diktaphon nehme ich die gesamte Meldung auf und brauche danach etwa eine Stunde um die wesentlichen Wetterinformationen herauszufiltern. Um sechs Uhr abends wird es dunkel, davor esse ich etwas und mache mich „fertig für die Nacht“. D.h. Katzenwäsche, Skiunterwäsche und Ölzeug ersetzen kurze Hose und Longsleeve, Stirnlampe auf. Nach der Funkroutine fange ich mit den 20-minütigen Schlafetappen an, die ich je nach Windverhältnissen und Schiffsverkehr kürzer oder länger unterbreche.
Anders als noch beim 1000-Meilen-Qualifikationstörn letztes Jahr, verspüre ich keine Einsamkeit. Wir sind wie ein Team, das jetzt über den Atlantik segelt. Es wird viel gefunkt untereinander. V.a. in den ersten Tagen, in denen man noch relativ nah beieinander liegt. Ich kommuniziere in erster Linie mit meinen beiden Konkurrenten um das „Carbon Tea Tray“, Bruce Gailey (529) und Ulf Brändström (772). Nachdem wir uns eher in der Mitte bzw. hinten im Feld aufhalten, haben wir unsere eigene Trophäe ausgeschrieben, ein kleines Teetablett aus Carbon, das Ulf gebastelt hat. Außerdem gilt: the winner pays the dinner. Wer von uns dreien als erster im Ziel ist, muss die anderen beiden zum Abendessen einladen. Bei den Funkkontakten tauscht man meistens seine Positionen untereinander aus und bespricht sonst aber eher nicht segeltaktische Dinge, was auch gegen die Regeln verstoßen würde, sondern was es tolles zum Essen gegeben hat, dass man sich heute mal geduscht hat, welche Musik man hört oder ob man gut geschlafen hat. Manchmal könnte man vergessen, dass wir hier ein Rennen segeln. Aber der Schein trügt, jeder hat einen gewissen Ehrgeiz und nachdem ich relativ weit hinten liege höre ich v.a. enttäuschte Bemerkungen über die eigene schlechte Position.
Auch ich selbst bin nicht ganz zufrieden, hänge gerade noch so im Schlepptau des Hauptfeldes. Die ersten vier Tage in der Biscaya waren gespickt mit nervenraubenden Flautenfeldern. Wir müssen uns durch ein praktisch ortsfestes Hochdruckgebiet in Richtung einer stationären Kaltfront vor der iberischen Halbinsel vorkämpfen. Unter zwei Knoten Windgeschwindigkeit fangen die Segel an zu schlagen. Kurz vor Finisterre treibt mich das derart in den Wahnsinn, dass ich sowohl die Fock als auch das Groß berge und ganz ohne Segel vor mich hindümpele. Diese Momente sind schnell wieder vergessen. Am 03.10. kann ich westlich von Gibraltar endlich wieder einen der Spinnaker setzen und bekomme einen Vorgeschmack auf die Trade Winds. Strahlend blauer Himmel, dunkelblaues Wasser, drei bis vier Windstärken und Madeira rückt mit großen Schritten näher. Ich genieße jeden Moment, die zehn Tage der ersten Etappe vergehen wie im Flug. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet
Ich erkenne Madeira erst aus zwei, drei Meilen Entfernung. Schon bei der Annäherung an Porto Santo im Morgengrauen des 05.10. hatte ich mich gewundert. Einen 1500 m hohen Berg muss man doch schon von weitem sehen. Hab ich irgendeinen Navigationsfehler gemacht? Beim vorherrschenden Ostwind bindet feiner Saharastaub Feuchtigkeit in der Luft. Der Dunst verdichtet sich an den steilen Felsküsten der Inseln und verhüllt sie komplett, sodass sie schon zum Greifen nahe sind wenn man sie sieht. Etwa mit Sonnenuntergang erreiche ich die Ziellinie als 33., ca. drei Stunden nach Bruce und Ulf, die sich kurz vor dem Ziel noch mit zwei anderen Minis ein packendes Finale geliefert hatten. Es herrscht noch reger Betrieb im Hafen von Funchal während ich in den Hafen von Funchal geschleppt werde. Ich hab die erste Etappe tatsächlich geschafft. All die Strapazen der Qualifikation haben sich gelohnt, was vor zwei Jahren noch ein vager Traum war wird jetzt Realität.

P.S.: leider (noch) keine Bilder mangels Kartenleser...


Montag, 3. Oktober 2011

Der Start

Am 25. September 2011 ist es endlich soweit: in La Rochelle starten 79 Minis zur Transatlantikregatta La Charente-Maritime - Bahia Transat 6.50! Die Sonne strahlt, die Gesichter der Skipperinnen und Skipper auch, denn nach zwei Jahren Vorbereitung ist der Tag X gekommen. Björn sagt, sein Adrenalinspiegel sei seit dem Morgen gleich bleibend hoch und er freue sich, dass es jetzt endlich losgeht. Man merkt ihm an, dass er aufgeregt ist. Er klatscht immer wieder in die Hände und sagt: "Auf geht's!" Die Rikki Tikki und er sind startklar.


Ab 14 Uhr werden die Minis von kleinen Motorbooten aus dem Hafenbecken geschleppt. Wegen der Gezeiten steht dafür nur ein relativ kleines Zeitfenster zur Verfügung. In 90 Minuten müssen 79 Boote herausgeschleppt werden, und zwar eins nach dem anderen, denn jedes Boot und jeder Skipper werden einzeln verabschiedet. Nachdem sich Björn und andere Segler gegenseitig die Hände geschüttelt und ermutigend auf die Schultern geklopft haben, um sich viel Erfolg zu wünschen, verabschiedet er sich von seiner Familie. Dann heißt es: "Leinen los!" Als einer der Ersten lässt er sein Boot aus dem Hafenbecken schleppen.


Es ist ein erhebender Moment: Björn steht am Ruder seiner Rikki Tikki als er die Schleusendurchfahrt passiert. Er winkt der großen Zuschauermenge zu, die sich rings um das Hafenbecken und oben an der Durchfahrt versammelt hat. Aus den Lautsprechern ertönt laute Musik. Eigentlich sollte jeder Segler bei seinem Abschied das von ihm gewählte Lied gespielt bekommen. Das scheint aber nicht zu klappen, denn, liebe Robocops, statt Eurem "I paid the ferryman" läuft "The eye of the tiger" von Survivor. Aber da die Reihenfolge vorher nicht festgelegt worden war und die Zeit so knapp war, sei dies den Veranstaltern verziehen. Eine Lautsprecherstimme stellt Björn vor, während er an den applaudierenden Menschen vorbeifährt. Der Applaus wird lauter, als erwähnt wird, dass er sich als Hobbysegler für dieses Rennen qualifiziert hat, obwohl er 600 km weit vom Mittelmeer, 700 km von der Nordsee und 1200 km vom Atlantik entfernt wohnt.

Wir, seine kleine Fangemeinde, klatschen und jubeln und rufen, als er hinausfährt. Wir freuen uns für ihn. Gleichzeitig machen wir uns natürlich auch Sorgen: wird alles gut gehen? Wenige Tage vor dem Start ist ein Teilnehmer bei der Überführung seines Bootes auf dem Weg nach La Rochelle über Bord gegangen und ertrunken. Das war ein großer Schock für alle Skipper und ihre Angehörigen. Wir machen uns unsere Gedanken. Aber wir versichern uns gegenseitig, dass Björn nicht der Typ ist, der unkalkulierbare Risiken eingeht. Außerdem ist er ja bestens vorbereitet.

Nun ist Björn also unterwegs zur Startlinie, die zwischen den beiden vorgelagerten Inseln Ile de Ré und Ile d'Oléron liegt. Während die anderen Skipper verabschiedet werden, begeben wir uns zu einem Zuschauerboot, um dort den Start live mitzuverfolgen. Die Rikki Tikki ist schon weit draußen, als wir losfahren, und als wir im Feld der Minis ankommen, können wir sie nirgends entdecken. Wir schippern langsam an den Booten vorbei, begegnen immer wieder der mare.de mit Jörg Riechers, dem anderen deutschen Teilnehmer und einem der Favoriten. Obwohl wir mit Ferngläsern ausgestattet sind, können wir Björn immer noch nicht sehen. Es ist wie verhext. Die Passagiere (ungefähr 200 Zuschauer befinden sich auf unserem Boot) applaudieren und rufen den Seglern zu. Außer den 79 Minis ist eine unglaublich große Anzahl an größeren und kleiner Zuschauerbooten versammelt. Dicht an dicht kreuzen die Minis vor der Startlinie und um sie herum wimmelt es nur so von Begleit- und Zuschauerbooten. Dann kommen auch noch zwei Helikopter angeflogen und umkreisen die Boote in geringstem Abstand, um spektakuläre Fotos und Filmaufnahmen zu machen. Auf der Website des Veranstalters und auf YouTube kann man sie sich ansehen. Dass wir Björn und seine Rikki Tikki nirgends sehen können, ist also nicht unbedingt verwunderlich. Vielleicht hat er sich aus dem Trubel auch etwas raushalten wollen, wer weiß?

Kurz vor dem Start entfernen wir uns von den Minis, denn jetzt gilt eine "Schutzzone", damit die Teilnehmer von Zuschauerbooten ungestört manövrieren können. Wir hören den 10-Minuten-Schuss, hören den eigentlichen Startschuss aber leider nicht und sind uns für einen Moment nicht sicher, ob das Rennen schon läuft oder nicht. Nach dem geplanten Start um 17.17 Uhr soll es eine Schweigeminute für den auf dem Weg nach La Rochelle tödlich verunglückten Segler geben, erst dann dürfen die Boote die Startlinie passieren.

Unser Boot nimmt wieder Fahrt auf, um das Geschehen an der ersten roten Boje, die die Minis passieren müssen, aus nächster Nähe beobachten zu können. Ganz vorne befindet sich ein gelber Proto (Sébastien Rogues "Eole Génération-GDF Suez", Nr. 716), der bereits erstaunlich viel Vorsprung hat. Eine zweite rote Boje muss passiert werden, bevor die Minis Richtung Westen, an der Küste der Ile d'Oléron entlang, hinaus aufs offene Meer segeln.

Endlich sehen wir Björn! Plötzlich haben wir ihn entdeckt, wenn auch der Blick auf ihn nie ganz frei wird. Aber wir sehen, dass er dabei ist und dass einige Boote hinter ihm liegen, alles bestens also! Wir bleiben noch eine Weile auf Höhe der zweiten Boje, bevor wir zum Hafen von La Rochelle zurückkehren und die Rikki Tikki am Horizont verschwindet. Jetzt drücken wir seit über einer Woche die Daumen, dass Björn die erste Etappe nach Madeira gut meistern wird. Es scheint ja ganz gut für ihn zu laufen. Sein persönliches Ziel, 10 bis 15 Boote hinter sich zu haben, hat er im Moment mit Platz 34 erreicht.

Samstag, 1. Oktober 2011

Der Countdown

Hier schreibt die Schwester: Als einer seiner größten Fans bin ich mit Kind und Kegel nach La Rochelle gereist, um live beim Start des Minitransat 2011 dabei zu sein. Björn gab mir den Auftrag, seinen Blog etwas zu aktualisieren, weil er selbst vor dem Start nicht mehr dazu kam. Jetzt, da ich wieder zu Hause bin, freue ich mich, in der nächsten Zeit seine Webmasterin sein zu dürfen. Von Madeira aus kann er sich vielleicht selbst melden, denn es ist ihm gelungen, den Skipper eines der Begleitboote zu überreden, seinen Laptop für ihn mitzunehmen.

Schon von Weitem konnte man erkennen, dass sich hier ein besonderes Ereignis ankündigte: entlang der Hafenmauern waren Zelte aufgestellt, die Fahnen der Teil nehmenden Nationen waren gehisst, eine Lautsprecherstimme war zu hören. Beim Näherkommen erblickte man Menschentrauben, die sich an den Verkaufs- und Informationsständen in den Zelten drängten, um Näheres über den Anlass für dieses Spektakel zu erfahren: den Start des Charente-Maritime/Bahia Transat 6.50 2011. Am Geländer der Hafenmauer waren ausführliche Steckbriefe aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer angebracht und die bereits erwähnte Lautsprecherstimme verkündete Wissenswertes über das Rennen.

Wenn man in das Hafenbecken hinuntersah, bot sich einem der Blick auf die in ein buntes Flaggenmeer getauchten Minis, für die dieser von den Gezeiten durch eine Schleuse geschützte Teil des Hafens von La Rochelle eigens reserviert worden war. Auf den Stegen lagen aufgerollte Segel, Seesäcke, Werkzeug, Taschen und Wasserkanister bereit, um verstaut zu werden. Auch hier drängten sich viele Besucher und es war ein Stimmengewirr aus Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch u.v.m. zu hören. Über all dem bunten Treiben lag eine fröhlich-gespannte Atmosphäre.

Dass diesem Rennen große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zuteil wird, war nicht zu übersehen: Ständig waren Fotografen und Kamerateams auf den Stegen unterwegs, die Segler gaben Interviews und bekamen nicht nur von Angehörigen und Zuschauern Besuch, sondern auch von Schulkindern: jedes Boot und jeder Segler hat nämlich eine eigene "Patenschulklasse". Die Schülerinnen und Schüler durften "ihr" Boot besuchen und seinem Skipper Fragen stellen. Jetzt prangt in jedem Großsegel das von der jeweiligen Klasse gemalte Bild. Das Bild für Rikki Tikki stammt aus Funchal auf Madeira, weshalb Björn erst dort von seiner Klasse Besuch erwartet.

Björn verbrachte die letzten Tage vor dem Rennen von morgens bis abends auf der Rikki Tikki, um die letzten Vorbereitungen abzuschließen. Er war also nicht schwer zu finden und empfing uns gleich an Bord, um uns alles zu zeigen: das erstaunlich geräumige Cockpit bot Platz für uns alle, und auch unter Deck könnten mehrere Personen gemütlich sitzen, wären da nicht die acht Segel, der Proviant, die Klamotten und Gerätschaften - vom Weltempfänger für den Wetterbericht bis zum Gaskocher für die Zubereitung der Astronautennahrung, die Björn im Vorfeld sorgfältig vorgekostet und ausgewählt hatte. (O-Ton meiner dreijährigen Tochter: "Und wo ist dein Badezimmer?"). Aber Björn hat sich ja nicht auf eine gemütliche Ausflugsfahrt begeben, sondern auf eines der härtesten Segelrennen überhaupt. Ganz wichtig ist natürlich auch der Autopilot, der meistens läuft, weil der Skipper gerade die Segel trimmen, ein Manöver vorbereiten, Funkmeldungen empfangen und durchgeben, etwas essen oder eine Runde Schlafen muss.

Zu den letzten Vorbereitungen gehörten auch zahlreiche Termine für die Skipper, wie z.B. ein offizieller Empfang, Briefings zu Sicherheitsvorkehrungen und zur Wetterlage. Wenige Tage vor dem Start war noch Gegenwind mit acht Beaufort angekündigt, kurz vor dem Start stellte sich jedoch heraus, dass mit eher schwachem Wind zu rechnen sein würde. Björn sah dies mit gemischten Gefühlen: einerseits hatte er die Hoffnung, der Gefahr seekrank zu werden, so zu entgehen. Andererseits war die Vorstellung, bei Flaute über die Biskaya zu dümpeln und sich dem Etappenziel Madeira nur schleichend zu nähern, nicht erbauend. Aber er hat immerhin für 15 Tage Proviant an Bord, was doch reichen sollte.

Der italienische Vorbesitzer der Rikki Tikki, der beim Minitransat vor zwei Jahren den 4.Platz erreicht hatte, stattete Björn kurz vor dem Start noch einen Besuch ab und gab ihm einige taktische Tipps. Viel wichtiger, als die Segel perfekt zu trimmen, sei es, auf keinen Fall den Wetterbericht zu verpassen und auf dieser Basis wohl überlegte Entscheidungen darüber zu treffen, welcher Kurs taktisch am besten zu wählen sei. Dies erklärt wohl auch, weshalb Björn momentan relativ weit vor der Küste Portugals segelt, also westlicher als viele andere Teilnehmer. Möge ihm diese Taktik Erfolg bringen!