Mittwoch, 23. Juni 2010

Mini-Fastnet

"Ok, prepare for a tack" ruft mir Simon zu um damit die nächste Wende anzukündigen. Ich klettere unter Deck, wuchte unsere gesamte Ausrüstung auf die andere Seite und befestige sie dort wieder. Sieben Kanister mit je zehn Litern Wasser, eine Tasche mit Anker und Ankerkette, den Survival-Container mit der vorgeschriebenen Sicherheitsausrüstung für den Seenotfall, den Proviant, den Erste-Hilfe-Container, das Werkzeug, die Segel. Alles dient als Ballast um das Boot mit möglichst viel Druck in den Segeln und wenig Krängung zu fahren. "Power the boat up" nennt Simon das und es ist eine ziemliche Knochenarbeit. Die gute Geschwindigkeit, die wir damit erreichen, gibt ihm Recht. Simon McGoldrick ist Australier und mein Co-Skipper beim Mini-Fastnet, einem der renommiertesten Rennen der Classe Mini mit einem mit gut 70 Booten großen Starterfeld und einer hohen Leistungsdichte. Es wird im Zweierteam gesegelt, von Douarnenez aus an die Südwestspitze Englands, von dort durch die irische See zum Fastnet Rock vor Irland und wieder zurück nach Douarnenez, insgesamt 600 Seemeilen. Simon hat 2009 am Minitransat teilgenommen, auf einer Pogo2, also genau demselben Bootstyp wie RIKKI TIKKI. Von ihm kann ich viel lernen.

Auf der Kreuz aus der Bucht von Douarnenez heraus sind wir weit vorne und steuern auf den Chenal du Four zu, eine enge Seestraße zwischen der Ile de Ouessant am äußersten Westende der Bretagne und dem Festland. Das Feld ist noch dicht beieinander als wir sie gegen Abend erreichen. Die Durchfahrt führt in den Ärmelkanal, was uns dort neben dem hohen Verkehrsaufkommen der Großschifffahrt erwartet hat uns Jean-Jacques - vom ausrichtenden Winchesclub für die Wettervorhersagen bei der Regatta zuständig - am Morgen beim Abschlussbriefing mit ernster Miene nochmal genau beschrieben. Die Wetterdaten hatten in den letzten Tagen immer mehr auf dieses Szenario hingedeutet: leichte bis mittlere Winde für das gesamte Rennen - nur der Montag. Der würde schwierig werden, starker Wind mit 28 bis 32 Knoten (50 bis 60 km/h) aus Nordwesten. Auch eine Startverschiebung war in Erwägung gezogen, letztlich aber wegen der weiteren Wetterentwicklung für die folgenden Tage dann verworfen worden. Hoch motiviert, aber auch mit etwas gemischten Gefühlen steuern wir bei langsam steigender Windstärke im Dämmerlicht an der Ile de Ouessant vorbei nach Norden.

Unsanft werde ich von der Ankertasche und einem der Wasserkanister aus dem Schlaf gerissen. Ich liege direkt unterhalb der Ausrüstung, mein Körper dient ebenfalls als Ballast auf der oberen Seite des Bootes. Eine fünfzig Zentimeter breiten Schlaufe aus Leinen hält meinen Oberkörper in einer stabilen Lage, die Beine sind zwischen Segeln verkeilt. Beim heftigen Stampfen in den Wellen haben sich beide Gegenstände aus ihrer Befestigung gelöst und sind auf mir gelandet. Fluchend stemme ich sie wieder in die vorgesehene Position zurück. Die See im Ärmelkanal ist unruhig, aus dem Nordatlantik kommt beständig eine lange Dünung herein, die sich dann je nach Richtung des Gezeitenstroms weiter aufbaut oder abflacht und zusätzlich mit der Windwelle überlagert. Wellen aus drei unterschiedlichen Richtungen treffen aufeinander, addieren sich zu spitzen, steilen Wasserbergen, die sich teilweise im oberen Teil schon überschlagen. Wir haben unsere Segelfläche stark reduziert. Mit insgesamt fünf Reffs - drei im Großsegel, zwei in der Genua - kämpft sich RIKKI TIKKI nach Nordwesten. Sie läuft damit stabil und wenn sie einen der besonders hohen Wellenberge hinaufschießt, steht sie für einen kurzen Moment halb in der Luft bevor sie ins Wellental kracht. Dabei erzittert das gesamte Rigg und man wundert sich was das Material alles aushält. Oder hält es das wirklich aus? Über Funk konnte man von verschiedenen Aufgaben hören, auch ein Mastbruch war dabei, der Carbonmast des Protos 747. Doch die Pogo2 hat sich über Jahre auch bei schwierigen Verhältnissen bewährt und ist bei weitem nicht so am Limit gebaut wie die Prototypen neuester Generation. Die Boote sind bei anderen Veranstaltungen schon 40 Knoten Wind ausgesetzt gewesen und haben das gut überstanden. Zudem ist Simons Miene zwar ernst, aber nicht besorgt und bei seiner Erfahrung ist sein Urteil für mich ein guter Anhaltspunkt für die Einschätzung der Lage. Ich verwerfe meine Bedenken also, wäre ich alleine unterwegs, würde ich das vielleicht anders sehen.

Der Sturm mit Windstärke 7 begleitet uns durch den gesamten Ärmelkanal. Eine ganze Nacht und ein ganzer Tag mehr unter als über Wasser. Fast jede Welle überspült das Boot, auch innen ist alles nass. Wasser tritt in kleinen Mengen durch die Notausstiegsluke im Heck, durch einige der Verschraubungen, durch die Dichtungen der Fenster. Ab und zu treffen wir auf einen Konkurrenten, das schafft Vertrauen. Wir sind auf dem richtigen Weg, das Material hält den Bedingungen Stand und unsere Position ist auch in Ordnung. Als wir am Montag Abend Wolf Rock vor der Küste Cornwalls erreichen haben wir das schlimmste überstanden, jetzt kann man das Segeln wieder genießen. Die irische See präsentiert sich am nächsten Tag bei strahlendem Sonnenschein wie das Mittelmeer, die Reffs verschwinden langsam aus den Segeln. Zum ersten Mal seit zwei Tagen habe ich trockene Hände.

Die Strapazen sind vergessen als RIKKI TIKKI auf Südostkurs zurück in Richtung Douarnenez rast. Die Anzeige des Speedometers klettert langsam auf über zwölf Knoten, das Wasser schießt mit einem wohligen Rauschen die Bordwand entlang nach oben und in einem hohen, weiten Bogen nach außen, während das Boot unter Gennaker eine Welle hinuntersurft. In permanenter Gleitfahrt und mit nur wenigen Wechseln zwischen den verschieden geschnittenen Gennakern fahren wir einen Bogen östlich der direkten Kurslinie, um bei dem nach Nordosten drehenden Wind immer die optimale Geschwindigkeit halten zu können. Eineinhalb Tage nur dauert es vom Fastnet Rock bis vor die Bucht von Douarnenez. Die Umrundung von Fastnet Rock, der Wendemarke an Irlands Südküste, war einer Erlösung gleichgekommen, der Weg dorthin gegen die vorherrschende Windrichtung wie ein langer Berganstieg, dem endlich die rasante Abfahrt folgen würde. Wir hatten ihn bei Nacht in Schlagdistanz zu Amaury Francois, dem derzeitigen Anführer der Rangliste der Classe Mini, erreicht - ein deutlicher Hinweis auf eine gute Position. Die Flaute nach Fastnet hatte das Feld nochmal eng aufrücken lassen - einige Konkurrenten waren auch nach bereits über 300 gesegelten Meilen noch zum Greifen nahe - doch mit dem einsetzenden Nordwind war die ursprüngliche Distanz schnell wieder hergestellt.

Am Nachmittag des fünften Renntags wird über Funk der Zieldurchgang des ersten Serienboots bekanntgegeben. Xavier Macaire und Yves Ravot haben die Strecke in Rekordzeit zurückgelegt, zwischen ihnen und dem zweitplatzierten werden über sechs Stunden liegen. Als wir schon bei Dunkelheit in die Bucht von Douarnenez einfahren kündigen weitere Boote die Annäherung an die Ziellinie an, wir sind nicht weit hinter einigen der besten Minisegler. Morgens um vier, nach viereinhalb Tagen, gehen wir als Siebter durchs Ziel. Auch um diese Uhrzeit werden wir im Hafen herzlich empfangen, im Clubhaus gibt es sogar eine warme Mahlzeit, die ich gierig verschlinge bevor ich in einen kurzen, erschöpften Schlaf falle.

Freitag, 11. Juni 2010

Mini Fastnet Start Sonntag 13 Uhr

Am Sonntag 13.06.2010 um 13:00 startet das Mini-Fastnet von Douarnenez aus. Gesegelt wird in Zweier-Teams, mein Segelpartner ist Simon McGoldrick aus Australien. Simon hat 2009 das Mini-Transat auf einer Pogo2 gesegelt, von ihm kann ich eine Menge lernen. Seit Dienstag bereiten wir RIKKI TIKKI und uns selbst auf das Rennen vor. Es ist im Live-Tracker zu verfolgen.

Mittwoch, 9. Juni 2010

Trophee Marie-Agnes-Peron

Das Wasser kocht am Leuchtturm La Plate, der die Passage Raz du Seine zwischen der Ile de Seine und dem Kap Pointe du Raz markiert. Ich bin spät dran. Während ich die RIKKI TIKKI durch die haarsträubende Strom- und Windwelle steuere sehe ich im Hintergrund die malerische Baie de Trepasses. Blickt man vom Strand dort hinaus aufs Meer, so ist der Anblick ähnlich malerisch, nichts lässt einen die schwierigen Bedingungen der Durchfahrt vermuten. Außer der Name vielleicht, Trepasses bedeutet „die Verstorbenen“. Die Gezeitenströmung in der Raz du Seine erreicht etwa die durchschnittliche Geschwindigkeit meines Bootes und ist eine Stunde vor meiner Ankunft in die Gegenrichtung gekippt. Gerade noch komme ich durch und kann nun zweieinhalb Stunden vor dem Wind auf den Wellen zu meinem Zielort surfen. Ich befinde mich auf dem Weg nach Douarnenez zum Start der Trophée Marie-Agnes-Peron, einer 200-Meilen Soloregatta. Auch hierfür bin ich spät dran. Starker Wind und hohe Wellen hatten mich in der Nacht zuvor zu einem ungeplanten Zwischenstopp in Concarneau gezwungen, nun wird es eng werden mit der Frist für die umfangreichen Sicherheitskontrollen, es ist unklar ob ich überhaupt starten kann. Die Vorbereitungen muss ich auf das wesentliche beschränken, ich bin vor dem Start eigentlich schon am Ende.

Zwei Tage danach biege ich in entgegengesetzter Richtung in die Meerenge ein, der Kurs der Trophée führt zweimal durch die Raz du Seine. Irgendwie war am Vorabend der Moment gekommen, in dem auch das letzte wesentliche Problem gelöst war. „No more excuses” hatte Dan von Mini 312 gesagt. Nun blicke ich auf das traurige Bild, das sich mir bietet. Bei wechselnden leichten Winden haben nur drei Boote den Weg hierher rechtzeitig geschafft um sich noch vom Gezeitenstrom durch die Raz schieben zu lassen. Der Großteil des Feldes ist weit nach Nordwesten verstreut. Einige haben alle verfügbaren Leinen aneinander gebunden und den Anker geworfen, es sieht so aus als ob sie den anderen davon fahren würden. Gefahr besteht keine, das Wasser treibt einen aus der Passage hinaus und man kann einen neuen Anlauf nehmen. Ein paar Stunden später. Wie vermutlich jeder andere vor mir versuche ich den nach dem Strömungsatlas einzig möglichen Weg: um den ersten Felsvorsprung herum, einen Bogen durch die Baie de Trepasses, wo der Strom kaum ausgeprägt ist, und dann ganz nahe an den Felsen dem Leuchtturm nähern, im letztmöglichen Moment in die Strömung einfahren und hoffen, dass der Wind reicht um vorbeizukommen. Schaffe ich die Durchfahrt, habe ich eine sehr gute Position im vorderen Mittelfeld. Doch der Wind flaut weiter ab, ich bleibe auch hängen, breche noch rechtzeitig ab und versuche das Boot sofort wieder in die Bucht zurück zu manövrieren um dort auf eine gute Gelegenheit für einen neuen Anlauf zu warten. Nach zwanzig Minuten gelingt mir das und nur wenig später ist er da, der notwendige Wind. Hektisch ziehen alle gleichzeitig die Spinnaker oder heben den Anker, etwa eine halbe Stunde dauert es, bis man aus dem gröbsten raus ist, einen Steinwurf weit entfernt.

Die Nacht und der folgende Tag sind von drehendem und leichtem Wind geprägt. Und von der Aneinanderreihung falscher taktischer Entscheidungen meinerseits. In der Dunkelheit waren schon einige Boote von hinten aufgekommen, nur an den schneller wandernden Positionslichtern zu erkennen. Der Grund für den Geschwindigkeitsunterschied ist ein verpasster notwendiger Segelwechsel. Er erschließt sich mir erst im Morgengrauen zwischen den Iles des Glénans und der Ile de Groix vor Lorient als die Konkurrenten wieder zu erkennen sind. Es ist nachts wirklich deutlich schwerer auf die sich verändernden Verhältnisse richtig zu reagieren. In der Folge versuche ich mich von Windstrich zu Windstrich in Richtung Ile de Groix zu hangeln und mich dabei immer mehr dem Festland zu nähern. Dort erhoffe ich mir ein bisschen Thermik, die den etwas längeren Weg, den ich damit auf mich nehme, überkompensiert. Eine vermeintliche Lehre aus der vorangegangenen Pornichet-Select-Regatta. Doch spielen auch hier die Gezeitenströme eine erhebliche Rolle, wie schon auf den ersten Meilen in der Bucht von Douarnenez. Obwohl sie keinen Wind zu haben scheinen, ziehen einige Boote in der Entfernung an mir vorbei.

Südlich der Ile de Groix frischt der Wind für die letzten Meilen bis zur Südmarke der Route noch mal auf und ermöglicht eine Stunde lang das, wofür die Bootsklasse eigentlich gemacht ist: schnelles dahingleiten unter Spinnaker. Als ich am Wendepunkt nördlich von Belle Ile ankomme ist es später Nachmittag und ich fast letzter. Die Siegerehrung ist für den nächsten Abend vorgesehen, es scheint schon jetzt unmöglich bis dahin wieder im Hafen zu sein. Der Wind hat gedreht und die Wetterprognose prophezeit ca. vierundzwanzig Stunden segeln gegen den Wind. Das geht an die Substanz, körperlich und mental. Ich bin frustriert. Das andauernde französische Gequassel auf dem UKW-Funk macht mich fast wahnsinnig. Kaum ein Slot um selbst mal zu funken. Die Regattaleitung hat irgendeine Nachricht verbreitet, die ich nicht verstanden habe, und ich würde gerne auf englisch noch mal nachfragen. Bruchstückhaft verstehe ich wie stattdessen Fischer Kochrezepte austauschen und sich über ihre Frauen unterhalten. Außerdem hat man das Gefühl, dass einige französische Teilnehmer ihre Taktik untereinander abstimmen. Ich schalte den Autopiloten ein und stelle meinen Schlafalarm auf vierzig Minuten. Ein komfortabler Wert für die Schlafetappen.

Vierundzwanzig Stunden später stehe ich wieder kurz vor dem Leuchtturm La Plate. Diesmal bin ich zu früh, der Gezeitenstrom ist immer noch gegen mich gerichtet, aber der Wind reicht aus mich wie gewohnt durch die unruhigen Wellen zu bringen. In der Bucht von Audierne hatte ich mir noch mal einen kleinen Zweikampf mit Tolga Pamir geliefert. Und verloren. Zwei Äpfel und eine Banane den ganzen Tag über waren zu wenig um Energie und geistige Frische dafür zu bringen. Als Vorletzter surfe ich die letzten knapp zwei Stunden die Wellen Richtung Douarnenez herunter. Bis über zehn Knoten zeigt das Speedometer manchmal an und kompensiert damit etwas die Strapazen der letzten beiden Tage. Als ich im Hafen anlege höre ich schon die Ansprachen für die Siegerehrung. Im Menschengedränge gibt es Cidre zum Anstoßen, nach zwei Schluck bin ich einigermaßen betrunken.