"Ok, prepare for a tack" ruft mir Simon zu um damit die nächste Wende anzukündigen. Ich klettere unter Deck, wuchte unsere gesamte Ausrüstung auf die andere Seite und befestige sie dort wieder. Sieben Kanister mit je zehn Litern Wasser, eine Tasche mit Anker und Ankerkette, den Survival-Container mit der vorgeschriebenen Sicherheitsausrüstung für den Seenotfall, den Proviant, den Erste-Hilfe-Container, das Werkzeug, die Segel. Alles dient als Ballast um das Boot mit möglichst viel Druck in den Segeln und wenig Krängung zu fahren. "Power the boat up" nennt Simon das und es ist eine ziemliche Knochenarbeit. Die gute Geschwindigkeit, die wir damit erreichen, gibt ihm Recht. Simon McGoldrick ist Australier und mein Co-Skipper beim Mini-Fastnet, einem der renommiertesten Rennen der Classe Mini mit einem mit gut 70 Booten großen Starterfeld und einer hohen Leistungsdichte. Es wird im Zweierteam gesegelt, von Douarnenez aus an die Südwestspitze Englands, von dort durch die irische See zum Fastnet Rock vor Irland und wieder zurück nach Douarnenez, insgesamt 600 Seemeilen. Simon hat 2009 am Minitransat teilgenommen, auf einer Pogo2, also genau demselben Bootstyp wie RIKKI TIKKI. Von ihm kann ich viel lernen.
Auf der Kreuz aus der Bucht von Douarnenez heraus sind wir weit vorne und steuern auf den Chenal du Four zu, eine enge Seestraße zwischen der Ile de Ouessant am äußersten Westende der Bretagne und dem Festland. Das Feld ist noch dicht beieinander als wir sie gegen Abend erreichen. Die Durchfahrt führt in den Ärmelkanal, was uns dort neben dem hohen Verkehrsaufkommen der Großschifffahrt erwartet hat uns Jean-Jacques - vom ausrichtenden Winchesclub für die Wettervorhersagen bei der Regatta zuständig - am Morgen beim Abschlussbriefing mit ernster Miene nochmal genau beschrieben. Die Wetterdaten hatten in den letzten Tagen immer mehr auf dieses Szenario hingedeutet: leichte bis mittlere Winde für das gesamte Rennen - nur der Montag. Der würde schwierig werden, starker Wind mit 28 bis 32 Knoten (50 bis 60 km/h) aus Nordwesten. Auch eine Startverschiebung war in Erwägung gezogen, letztlich aber wegen der weiteren Wetterentwicklung für die folgenden Tage dann verworfen worden. Hoch motiviert, aber auch mit etwas gemischten Gefühlen steuern wir bei langsam steigender Windstärke im Dämmerlicht an der Ile de Ouessant vorbei nach Norden.
Unsanft werde ich von der Ankertasche und einem der Wasserkanister aus dem Schlaf gerissen. Ich liege direkt unterhalb der Ausrüstung, mein Körper dient ebenfalls als Ballast auf der oberen Seite des Bootes. Eine fünfzig Zentimeter breiten Schlaufe aus Leinen hält meinen Oberkörper in einer stabilen Lage, die Beine sind zwischen Segeln verkeilt. Beim heftigen Stampfen in den Wellen haben sich beide Gegenstände aus ihrer Befestigung gelöst und sind auf mir gelandet. Fluchend stemme ich sie wieder in die vorgesehene Position zurück. Die See im Ärmelkanal ist unruhig, aus dem Nordatlantik kommt beständig eine lange Dünung herein, die sich dann je nach Richtung des Gezeitenstroms weiter aufbaut oder abflacht und zusätzlich mit der Windwelle überlagert. Wellen aus drei unterschiedlichen Richtungen treffen aufeinander, addieren sich zu spitzen, steilen Wasserbergen, die sich teilweise im oberen Teil schon überschlagen. Wir haben unsere Segelfläche stark reduziert. Mit insgesamt fünf Reffs - drei im Großsegel, zwei in der Genua - kämpft sich RIKKI TIKKI nach Nordwesten. Sie läuft damit stabil und wenn sie einen der besonders hohen Wellenberge hinaufschießt, steht sie für einen kurzen Moment halb in der Luft bevor sie ins Wellental kracht. Dabei erzittert das gesamte Rigg und man wundert sich was das Material alles aushält. Oder hält es das wirklich aus? Über Funk konnte man von verschiedenen Aufgaben hören, auch ein Mastbruch war dabei, der Carbonmast des Protos 747. Doch die Pogo2 hat sich über Jahre auch bei schwierigen Verhältnissen bewährt und ist bei weitem nicht so am Limit gebaut wie die Prototypen neuester Generation. Die Boote sind bei anderen Veranstaltungen schon 40 Knoten Wind ausgesetzt gewesen und haben das gut überstanden. Zudem ist Simons Miene zwar ernst, aber nicht besorgt und bei seiner Erfahrung ist sein Urteil für mich ein guter Anhaltspunkt für die Einschätzung der Lage. Ich verwerfe meine Bedenken also, wäre ich alleine unterwegs, würde ich das vielleicht anders sehen.
Der Sturm mit Windstärke 7 begleitet uns durch den gesamten Ärmelkanal. Eine ganze Nacht und ein ganzer Tag mehr unter als über Wasser. Fast jede Welle überspült das Boot, auch innen ist alles nass. Wasser tritt in kleinen Mengen durch die Notausstiegsluke im Heck, durch einige der Verschraubungen, durch die Dichtungen der Fenster. Ab und zu treffen wir auf einen Konkurrenten, das schafft Vertrauen. Wir sind auf dem richtigen Weg, das Material hält den Bedingungen Stand und unsere Position ist auch in Ordnung. Als wir am Montag Abend Wolf Rock vor der Küste Cornwalls erreichen haben wir das schlimmste überstanden, jetzt kann man das Segeln wieder genießen. Die irische See präsentiert sich am nächsten Tag bei strahlendem Sonnenschein wie das Mittelmeer, die Reffs verschwinden langsam aus den Segeln. Zum ersten Mal seit zwei Tagen habe ich trockene Hände.
Die Strapazen sind vergessen als RIKKI TIKKI auf Südostkurs zurück in Richtung Douarnenez rast. Die Anzeige des Speedometers klettert langsam auf über zwölf Knoten, das Wasser schießt mit einem wohligen Rauschen die Bordwand entlang nach oben und in einem hohen, weiten Bogen nach außen, während das Boot unter Gennaker eine Welle hinuntersurft. In permanenter Gleitfahrt und mit nur wenigen Wechseln zwischen den verschieden geschnittenen Gennakern fahren wir einen Bogen östlich der direkten Kurslinie, um bei dem nach Nordosten drehenden Wind immer die optimale Geschwindigkeit halten zu können. Eineinhalb Tage nur dauert es vom Fastnet Rock bis vor die Bucht von Douarnenez. Die Umrundung von Fastnet Rock, der Wendemarke an Irlands Südküste, war einer Erlösung gleichgekommen, der Weg dorthin gegen die vorherrschende Windrichtung wie ein langer Berganstieg, dem endlich die rasante Abfahrt folgen würde. Wir hatten ihn bei Nacht in Schlagdistanz zu Amaury Francois, dem derzeitigen Anführer der Rangliste der Classe Mini, erreicht - ein deutlicher Hinweis auf eine gute Position. Die Flaute nach Fastnet hatte das Feld nochmal eng aufrücken lassen - einige Konkurrenten waren auch nach bereits über 300 gesegelten Meilen noch zum Greifen nahe - doch mit dem einsetzenden Nordwind war die ursprüngliche Distanz schnell wieder hergestellt.
Am Nachmittag des fünften Renntags wird über Funk der Zieldurchgang des ersten Serienboots bekanntgegeben. Xavier Macaire und Yves Ravot haben die Strecke in Rekordzeit zurückgelegt, zwischen ihnen und dem zweitplatzierten werden über sechs Stunden liegen. Als wir schon bei Dunkelheit in die Bucht von Douarnenez einfahren kündigen weitere Boote die Annäherung an die Ziellinie an, wir sind nicht weit hinter einigen der besten Minisegler. Morgens um vier, nach viereinhalb Tagen, gehen wir als Siebter durchs Ziel. Auch um diese Uhrzeit werden wir im Hafen herzlich empfangen, im Clubhaus gibt es sogar eine warme Mahlzeit, die ich gierig verschlinge bevor ich in einen kurzen, erschöpften Schlaf falle.
Auf der Kreuz aus der Bucht von Douarnenez heraus sind wir weit vorne und steuern auf den Chenal du Four zu, eine enge Seestraße zwischen der Ile de Ouessant am äußersten Westende der Bretagne und dem Festland. Das Feld ist noch dicht beieinander als wir sie gegen Abend erreichen. Die Durchfahrt führt in den Ärmelkanal, was uns dort neben dem hohen Verkehrsaufkommen der Großschifffahrt erwartet hat uns Jean-Jacques - vom ausrichtenden Winchesclub für die Wettervorhersagen bei der Regatta zuständig - am Morgen beim Abschlussbriefing mit ernster Miene nochmal genau beschrieben. Die Wetterdaten hatten in den letzten Tagen immer mehr auf dieses Szenario hingedeutet: leichte bis mittlere Winde für das gesamte Rennen - nur der Montag. Der würde schwierig werden, starker Wind mit 28 bis 32 Knoten (50 bis 60 km/h) aus Nordwesten. Auch eine Startverschiebung war in Erwägung gezogen, letztlich aber wegen der weiteren Wetterentwicklung für die folgenden Tage dann verworfen worden. Hoch motiviert, aber auch mit etwas gemischten Gefühlen steuern wir bei langsam steigender Windstärke im Dämmerlicht an der Ile de Ouessant vorbei nach Norden.
Unsanft werde ich von der Ankertasche und einem der Wasserkanister aus dem Schlaf gerissen. Ich liege direkt unterhalb der Ausrüstung, mein Körper dient ebenfalls als Ballast auf der oberen Seite des Bootes. Eine fünfzig Zentimeter breiten Schlaufe aus Leinen hält meinen Oberkörper in einer stabilen Lage, die Beine sind zwischen Segeln verkeilt. Beim heftigen Stampfen in den Wellen haben sich beide Gegenstände aus ihrer Befestigung gelöst und sind auf mir gelandet. Fluchend stemme ich sie wieder in die vorgesehene Position zurück. Die See im Ärmelkanal ist unruhig, aus dem Nordatlantik kommt beständig eine lange Dünung herein, die sich dann je nach Richtung des Gezeitenstroms weiter aufbaut oder abflacht und zusätzlich mit der Windwelle überlagert. Wellen aus drei unterschiedlichen Richtungen treffen aufeinander, addieren sich zu spitzen, steilen Wasserbergen, die sich teilweise im oberen Teil schon überschlagen. Wir haben unsere Segelfläche stark reduziert. Mit insgesamt fünf Reffs - drei im Großsegel, zwei in der Genua - kämpft sich RIKKI TIKKI nach Nordwesten. Sie läuft damit stabil und wenn sie einen der besonders hohen Wellenberge hinaufschießt, steht sie für einen kurzen Moment halb in der Luft bevor sie ins Wellental kracht. Dabei erzittert das gesamte Rigg und man wundert sich was das Material alles aushält. Oder hält es das wirklich aus? Über Funk konnte man von verschiedenen Aufgaben hören, auch ein Mastbruch war dabei, der Carbonmast des Protos 747. Doch die Pogo2 hat sich über Jahre auch bei schwierigen Verhältnissen bewährt und ist bei weitem nicht so am Limit gebaut wie die Prototypen neuester Generation. Die Boote sind bei anderen Veranstaltungen schon 40 Knoten Wind ausgesetzt gewesen und haben das gut überstanden. Zudem ist Simons Miene zwar ernst, aber nicht besorgt und bei seiner Erfahrung ist sein Urteil für mich ein guter Anhaltspunkt für die Einschätzung der Lage. Ich verwerfe meine Bedenken also, wäre ich alleine unterwegs, würde ich das vielleicht anders sehen.
Der Sturm mit Windstärke 7 begleitet uns durch den gesamten Ärmelkanal. Eine ganze Nacht und ein ganzer Tag mehr unter als über Wasser. Fast jede Welle überspült das Boot, auch innen ist alles nass. Wasser tritt in kleinen Mengen durch die Notausstiegsluke im Heck, durch einige der Verschraubungen, durch die Dichtungen der Fenster. Ab und zu treffen wir auf einen Konkurrenten, das schafft Vertrauen. Wir sind auf dem richtigen Weg, das Material hält den Bedingungen Stand und unsere Position ist auch in Ordnung. Als wir am Montag Abend Wolf Rock vor der Küste Cornwalls erreichen haben wir das schlimmste überstanden, jetzt kann man das Segeln wieder genießen. Die irische See präsentiert sich am nächsten Tag bei strahlendem Sonnenschein wie das Mittelmeer, die Reffs verschwinden langsam aus den Segeln. Zum ersten Mal seit zwei Tagen habe ich trockene Hände.
Die Strapazen sind vergessen als RIKKI TIKKI auf Südostkurs zurück in Richtung Douarnenez rast. Die Anzeige des Speedometers klettert langsam auf über zwölf Knoten, das Wasser schießt mit einem wohligen Rauschen die Bordwand entlang nach oben und in einem hohen, weiten Bogen nach außen, während das Boot unter Gennaker eine Welle hinuntersurft. In permanenter Gleitfahrt und mit nur wenigen Wechseln zwischen den verschieden geschnittenen Gennakern fahren wir einen Bogen östlich der direkten Kurslinie, um bei dem nach Nordosten drehenden Wind immer die optimale Geschwindigkeit halten zu können. Eineinhalb Tage nur dauert es vom Fastnet Rock bis vor die Bucht von Douarnenez. Die Umrundung von Fastnet Rock, der Wendemarke an Irlands Südküste, war einer Erlösung gleichgekommen, der Weg dorthin gegen die vorherrschende Windrichtung wie ein langer Berganstieg, dem endlich die rasante Abfahrt folgen würde. Wir hatten ihn bei Nacht in Schlagdistanz zu Amaury Francois, dem derzeitigen Anführer der Rangliste der Classe Mini, erreicht - ein deutlicher Hinweis auf eine gute Position. Die Flaute nach Fastnet hatte das Feld nochmal eng aufrücken lassen - einige Konkurrenten waren auch nach bereits über 300 gesegelten Meilen noch zum Greifen nahe - doch mit dem einsetzenden Nordwind war die ursprüngliche Distanz schnell wieder hergestellt.
Am Nachmittag des fünften Renntags wird über Funk der Zieldurchgang des ersten Serienboots bekanntgegeben. Xavier Macaire und Yves Ravot haben die Strecke in Rekordzeit zurückgelegt, zwischen ihnen und dem zweitplatzierten werden über sechs Stunden liegen. Als wir schon bei Dunkelheit in die Bucht von Douarnenez einfahren kündigen weitere Boote die Annäherung an die Ziellinie an, wir sind nicht weit hinter einigen der besten Minisegler. Morgens um vier, nach viereinhalb Tagen, gehen wir als Siebter durchs Ziel. Auch um diese Uhrzeit werden wir im Hafen herzlich empfangen, im Clubhaus gibt es sogar eine warme Mahlzeit, die ich gierig verschlinge bevor ich in einen kurzen, erschöpften Schlaf falle.
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