Freitag, 7. Oktober 2011

Madeira!

Aus einem kurzen Tiefschlaf schrecke ich auf, irgendwas war gerade anders an den hämmernden Geräuschen der Wellen an der Bordwand, die im einrichtungslosen Bootsinneren verstärkt werden wie in einer großen Trommel. Ich schäle mich aus meiner komfortablen Schlafposition zwischen all der Ausrüstung, die ich zum Gewichtstrimm auf der Luvseite verzurrt und verkeilt habe. An Deck erwartet mich eine pechschwarze Biscayanacht, es ist kurz nach Neumond und RIKKI TIKKI fährt in eine Dunkelheit hinein, in der man gerade noch die nächste Welle erkennen kann. Und die Effekte des fluoreszierenden Planktons. Im Heckwasser leuchten kleine und größere Punkte weißlich grün für ein, zwei Sekunden auf und erzeugen eine Art Feuerschweif, in zwei Metern Tiefe ist ein zweites Leuchtband zu erkennen, das von der Kielbombe erzeugt wird. Ich sehe mich nach möglichem Treibgut um und entdecke den Grund für das veränderte Trommeln am Rumpf: um den Bug herum wabert eine weitere Leuchtmasse von rechts nach links. Es ist ein Fischschwarm, die Fische springen immer wieder aus dem Wasser und prasseln dann gegen die Bordwand. Das Schauspiel ist wunderschön und unheimlich zugleich, es erinnert an Frank Schätzings „Der Schwarm“.
In den letzten Tagen in La Rochelle und während der gesamten ersten Etappe gibt es viele dieser Momente, in denen ich nur noch staune und mir immer wieder klarmachen muss, dass das alles wirklich passiert. Die Naturereignisse, das Ablesen der Position auf der Seekarte, wobei man feststellt, dass im Osten hinter dem Horizont Casablanca liegt und nicht die Ile de Groix, die überraschend große öffentliche Aufmerksamkeit, das Mitfiebern der Freunde zu Hause, das Gemeinschaftsgefühl unter den Seglern, all das ist einfach überwältigend.
Die unglaubliche Nervosität, die sich bis zum Start am 25.09. kontinuierlich aufgebaut hat, verschwindet, als mich das Motorboot aus dem Bassin des Chalutiers in La Rochelle durch die Hafenausfahrt schleppt während „Eye of the tiger“ lautstark läuft und die vielen Zuschauer applaudieren und „Bonne Chance“ rufen. Endlich hat das unerträgliche Warten ein Ende, es geht los.
Der Start gelingt nicht besonders gut. All der Trubel lenkt mich zu sehr ab, beim 8-Minuten-Signal knattert einer der beiden Hubschrauber, die Luftaufnahmen machen, über mich hinweg, sodass ich verpasse die Zeit richtig zu nehmen. Außerdem wird die Startprozedur anlässlich des Todes unseres Mitseglers Jean-Marc Allaire um eine Gedenkminute erweitert. D.h. nach dem Startschuss stoppen alle wie abgesprochen ihre Boote und segeln erst los, wenn über Funk das Ende der Gedenkminute signalisiert wird. Ich versuche mich aus dem Pulk herauszuhalten, bekomme trotzdem beim sehr leichten Wind das Boot nicht schnell genug in Fahrt und befinde mich sehr weit hinten im Feld, als ich die zweite Bahnmarke vor der Ile d´Oleron passiere. Egal, es sind ja noch 1100 Meilen.
Von Anfang an entwickele ich eine gute Bordroutine, die von den Terminen der Rennleitung unterstützt wird. Zwischen sechs und sieben wird es hell, dann gibt es ein kleines Frühstück. Um acht Uhr morgens und sieben Uhr abends UTC (universal time coordinated): Positionsmeldung an die Begleitschiffe über Funk. Der Bootsnummer nach wird man angefunkt, gibt seine Koordinaten an, wird nett gefragt ob alles in Ordnung ist, wie der Tag oder die Nacht war. Die Prozedur dauert etwa eine Stunde und bietet die Möglichkeit sich im Feld etwas zu orientieren. Wo sind die anderen, bin ich eher nördlich oder südlich bzw. östlich oder westlich? Wie weit sind die anderen etwa entfernt? Dazwischen, um fünf nach elf Uhr vormittags, kommt über die Kurzwellenfrequenz von Monaco Radio der Wetterbericht auf Französisch und Englisch, danach die aktuelle Rangliste. Die Stimme des Race Directors Denis Hugues ist nur schwer zu erkennen im Hintergrundrauschen und zwischen den Summtönen, die das SSB-Radio vom Autopiloten bei jeder Bewegung empfängt. Ich drehe kontinuierlich am Frequenz- und Gainregler um die Stimme möglichst verständlich zu halten während sie zwischen Darth Vader und Mickey Mouse hin- und hermoduliert. Mit dem Diktaphon nehme ich die gesamte Meldung auf und brauche danach etwa eine Stunde um die wesentlichen Wetterinformationen herauszufiltern. Um sechs Uhr abends wird es dunkel, davor esse ich etwas und mache mich „fertig für die Nacht“. D.h. Katzenwäsche, Skiunterwäsche und Ölzeug ersetzen kurze Hose und Longsleeve, Stirnlampe auf. Nach der Funkroutine fange ich mit den 20-minütigen Schlafetappen an, die ich je nach Windverhältnissen und Schiffsverkehr kürzer oder länger unterbreche.
Anders als noch beim 1000-Meilen-Qualifikationstörn letztes Jahr, verspüre ich keine Einsamkeit. Wir sind wie ein Team, das jetzt über den Atlantik segelt. Es wird viel gefunkt untereinander. V.a. in den ersten Tagen, in denen man noch relativ nah beieinander liegt. Ich kommuniziere in erster Linie mit meinen beiden Konkurrenten um das „Carbon Tea Tray“, Bruce Gailey (529) und Ulf Brändström (772). Nachdem wir uns eher in der Mitte bzw. hinten im Feld aufhalten, haben wir unsere eigene Trophäe ausgeschrieben, ein kleines Teetablett aus Carbon, das Ulf gebastelt hat. Außerdem gilt: the winner pays the dinner. Wer von uns dreien als erster im Ziel ist, muss die anderen beiden zum Abendessen einladen. Bei den Funkkontakten tauscht man meistens seine Positionen untereinander aus und bespricht sonst aber eher nicht segeltaktische Dinge, was auch gegen die Regeln verstoßen würde, sondern was es tolles zum Essen gegeben hat, dass man sich heute mal geduscht hat, welche Musik man hört oder ob man gut geschlafen hat. Manchmal könnte man vergessen, dass wir hier ein Rennen segeln. Aber der Schein trügt, jeder hat einen gewissen Ehrgeiz und nachdem ich relativ weit hinten liege höre ich v.a. enttäuschte Bemerkungen über die eigene schlechte Position.
Auch ich selbst bin nicht ganz zufrieden, hänge gerade noch so im Schlepptau des Hauptfeldes. Die ersten vier Tage in der Biscaya waren gespickt mit nervenraubenden Flautenfeldern. Wir müssen uns durch ein praktisch ortsfestes Hochdruckgebiet in Richtung einer stationären Kaltfront vor der iberischen Halbinsel vorkämpfen. Unter zwei Knoten Windgeschwindigkeit fangen die Segel an zu schlagen. Kurz vor Finisterre treibt mich das derart in den Wahnsinn, dass ich sowohl die Fock als auch das Groß berge und ganz ohne Segel vor mich hindümpele. Diese Momente sind schnell wieder vergessen. Am 03.10. kann ich westlich von Gibraltar endlich wieder einen der Spinnaker setzen und bekomme einen Vorgeschmack auf die Trade Winds. Strahlend blauer Himmel, dunkelblaues Wasser, drei bis vier Windstärken und Madeira rückt mit großen Schritten näher. Ich genieße jeden Moment, die zehn Tage der ersten Etappe vergehen wie im Flug. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet
Ich erkenne Madeira erst aus zwei, drei Meilen Entfernung. Schon bei der Annäherung an Porto Santo im Morgengrauen des 05.10. hatte ich mich gewundert. Einen 1500 m hohen Berg muss man doch schon von weitem sehen. Hab ich irgendeinen Navigationsfehler gemacht? Beim vorherrschenden Ostwind bindet feiner Saharastaub Feuchtigkeit in der Luft. Der Dunst verdichtet sich an den steilen Felsküsten der Inseln und verhüllt sie komplett, sodass sie schon zum Greifen nahe sind wenn man sie sieht. Etwa mit Sonnenuntergang erreiche ich die Ziellinie als 33., ca. drei Stunden nach Bruce und Ulf, die sich kurz vor dem Ziel noch mit zwei anderen Minis ein packendes Finale geliefert hatten. Es herrscht noch reger Betrieb im Hafen von Funchal während ich in den Hafen von Funchal geschleppt werde. Ich hab die erste Etappe tatsächlich geschafft. All die Strapazen der Qualifikation haben sich gelohnt, was vor zwei Jahren noch ein vager Traum war wird jetzt Realität.

P.S.: leider (noch) keine Bilder mangels Kartenleser...


8 Kommentare:

  1. Toll, was du alles erlebst! Hoffe, es geht dir weiterhin so gut!
    Adina

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  2. Gratuliere herzlich zu Deiner zweiten, gelungen Biskayaüberquerung mit "Abstecher" nach Madeira. Ziehe meine Mütze vor Deiner Courage, Deinem Durchhaltevermögen und Deiner seglerischen Leistung und wünsche Dir weiterhin alles Gute für die Regatta.
    Gerald

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  3. wenn das ein Buch wäre, würde ich es heute nacht noch komplett durchlesen. kann nicht genug davon kriegen. Glück auf! Wir sind bei dir.
    Tob

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  4. Viel Kraft, innere Ruhe und gute Laune für die zweite Etappe!
    Es fiebern mehr mit als Du denkst.
    Curt

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  5. Herzlichen Glückwunsch! Was für eine Leistung, Hut ab! Viele Grüße aus der Gebbertstraße

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  6. Huge congratulations to the next last step towards Bahia. The best of luck on the next leg!

    /Jesper

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  7. Echt klasse! Wir fiebern hier täglich mit und schauen wie sich das Rennen entwickelt. Ich drücke die Daumen für die zweite Etappe. Mit Spannung wird jede neue Nachricht gelesen.
    Andreas

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  8. Lieber Björn, das klingt wunderschön, spannend und aufregend zur gleichen Zeit. Wir denken an Dich und drücken Dir ganz fest die Daumen, dass das Carbon tea tray bald Dir gehört!!! Alles Gute aus Singapur, Uli und Tini

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