Sonntag, 8. August 2010

Der Härtetest



Damit hatte ich nicht gerechnet. Nach dem sehr erfolgreichen Mini-Fastnet schien die Qualifikation für das Mini-Transat 2011 eigentlich größtenteils in trockenen Tüchern zu sein. Härter als das Fastnet würde es nicht mehr werden, dachte ich. Ok, ein langer Törn noch - die 1000-Meilen-Qualifikation außerhalb des Renngeschehens solo und nonstopp - , aber zu meinen Bedingungen. Ich würde das Wetter dafür wählen und ich würde gutes Wetter wählen, das war klar, und genau das hatte ich auch getan. Ein sehr stabiles Hochdruckgebiet erstreckte sich von den Azoren bis nach Irland, als ich am Freitag, den 23.07. abends um halb zehn aus dem Hafen von Douarnenez herausfuhr während sich das Städtchen für ein kleines Volksfest rüstete. Leichte Winde, 2-4 Beaufort, waren für die nächsten Tage auf meiner Route durch den englischen Kanal, an den Scilly Islands vor Cornwall vorbei bis an die Südküste Irlands, von dort wieder nach Südosten bis nach La Rochelle und zurück in die Bretagne zu erwarten. So war es bisher auch gekommen, trotz dem war ich durch die chaotischen Wellen im Ärmelkanal wieder seekrank geworden, und jetzt das: die eigentlich unerklärlich starke Nervosität zu Beginn der Reise hat sich zu einem handfesten mentalen Tief ausgeweitet. Wie ein Häuflein Elend sitze ich nun im Cockpit der RIKKI TIKKI, habe gerade die Scillies passiert, ohne Landsicht allerdings, und starre auf die graue See, die sich rund um das Boot bis an den Horizont erstreckt. Die Einsamkeit scheint mit einem Mal unmessbar zu sein, genauso wie die verbleibende Zeit und Distanz bis zum Ziel. Ich habe seit eineinhalb Tagen keine Menschenseele gesehen, nur eine Handvoll Containerschiffe, die wie große Fabrikhallen leblos über das Wasser ziehen. Jetzt bin ich der Verzweiflung nahe. Ich will hier raus, sofort, will an Land, will Familie und Freunde sehen, alles andere ist egal. Zu meiner Überraschung liegt die eigentliche Herausforderung dieses Trips also in mir selbst, in der Aufrechterhaltung einer guten psychischen Verfassung, darin wie ich damit zurecht komme wirklich auf mich allein gestellt zu sein, und nicht wie erwartet in der möglichen Entwicklung einer schwierigen Wettersituation in der irischen See oder in der zu starken Übermüdung. Um mich etwas zu beruhigen höre ich Musik. Das bewirkt aber das genaue Gegenteil, verstärkt die Emotionen noch, ich muss spontan losheulen, der Gedanke an eine Aufgabe erscheint nicht mehr abwegig. Ist er nun gekommen, der Moment des Scheiterns? Jetzt schon, über ein Jahr vor dem Start des Minitransatrennens?

Ockerorange leuchten die Felsen der irischen Südküste in der Sonne als ich mich 24 Stunden später der ersten Wendemarke der Route, der Untiefentonne Conningbeg, nähere. Ich habe nicht aufgegeben und grinse übers ganze Gesicht. Bei näherer Betrachtung der Lage war doch ziemlich schnell klar gewesen, dass eine Aufgabe nicht der richtige Weg sein würde. Von den Scillies sind es etwa zwei Tage bis in meinen Heimathafen Lorient. Zwei Tage segeln mit dem Wissen, dass mein Projekt gescheitert ist und das in meiner schlechten mentalen Verfassung, wollte ich mir nicht antun. Einen zweiten Anlauf für den Qualifikationstörn hätte ich nicht in Betracht gezogen, nicht bei einer Aufgabe, die keine technischen Gründe hat. Denn der Törn ist ein Test, für die Classe Mini und für mich selbst, und wenn ich schon bei acht bis zehn Tagen solosegeln zu starke mentale Probleme bekomme, dann kann und will ich nicht eine Transatlantiketappe segeln, die zweieinhalb mal so lange dauert. Um aber wirklich herauszufinden was eine lange Soloetappe mit mir physisch und psychisch macht, dachte ich, muss ich den Test zu Ende segeln. Nur so kann ich sicher sein und anschließend in Ruhe eine Entscheidung über die Teilnahme treffen. Das bin ich mir schuldig, bei aller Energie und allem Herzblut, die ich bis hierher investiert habe, und das war die Vereinbarung, die ich mit mir dann getroffen hatte: durchziehen, sacken lassen und dann in Ruhe bewerten und entscheiden.

Ich mache ein Foto von mir und der Bahnmarke für die Dokumentation des Törns, die die Classe Mini fordert, und schlage den ersehnten Südkurs ein. Ein Viertel der gesamten Distanz ist geschafft, das gibt Auftrieb. Bis hierhin bin ich sehr gut vorangekommen, hatte Glück mit den Winddrehern. Zwar musste ich die ersten 250 Meilen hoch am Wind segeln, also relativ langsam und gegen die Wellen, konnte aber trotzdem fast immer direkt Kurs auf mein Ziel halten. Die nächsten Tage Richtung La Rochelle sollten noch besser werden, versprechen größtenteils günstigere Kurse, bei denen ich den Spinnaker setzen kann, das eigentliche Gaspedal des Bootes. Da der Wind auf Südwest dreht muss ich damit allerdings noch warten bis ich zwei Tage später die Ile de Ouessant am Cap Finistère passiert habe.

Der Durchgang einer Front kündigt sich mit hoher Bewölkung an, die sich immer weiter senkt je näher sie kommt. Als erstes zieht die Warmfront durch, begleitet von Wind und anschließendem Regen. Ihr folgt die Kaltfront, die Bewölkung lockert etwas auf, der Regen kommt nur noch in Schauern, der Wind frischt weiter auf. Am Abend des fünften Tages kann ich dieses Geschehen wie aus dem Lehrbuch am Himmel verfolgen. Meteo France hat für die nördliche Biscaya eine kleine Front angesagt und nun ist sie da und beschleunigt RIKKI TIKKI zusehends, während das Tageslicht immer schwächer wird. Unter Großsegel und mittlerem Spinnaker gleitet das Boot die Wellen hinunter. Die Windmessanzeige steigt langsam Richtung 20 Knoten an, wobei es immer schwieriger wird, das Boot zwischen den Wellenbergen hindurchzusteuern, auch weil die Wasseroberfläche im Dunkeln nur noch schwer auszumachen ist. Der nach vorne ausgeklappte Gennakerbaum, an dem die Vorderseite des Spinnakers befestigt ist, kommt den vor uns ablaufenden Wellenkämmen gefährlich nahe, und droht jedesmal wenn RIKKI TIKKI eine Welle hinunter rauscht ins Wasser einzutauchen. Das darf auf keinen Fall passieren, die Metallstange würde der Belastung nicht standhalten und vermutlich abknicken und so einen Schaden möchte ich in jedem Fall verhindern. Ein Reff im Großsegel nimmt etwas Druck vom Bug, aber nicht genug, denn der Wind steigt weiter auf 25 Knoten. Ich komme mit dem Schrecken davon als der Bug zweimal hintereinander komplett untertaucht. Unmengen Wasser überspülen das Deck, fließen wie durch ein Wunder an der offenen Luke zur Kajüte vorbei und ich habe Glück, dass dort nicht alles unter Wasser steht. Zuviel Segel oben, das ist jetzt absolut klar, der Spi muss runter und zwar schnell. Für die restliche Nacht will ich meine Ruhe haben, schlafen können, denn Erholung ist wichtig bei einem langen Törn. Da meine Vertrautheit in das Boot und sein Verhalten unter diesen Bedingungen noch nicht groß genug ist um mich entspannt ausruhen zu können, verzichte ich auf den kleineren, für diese Bedingungen geeigneten, Code 5, und trete etwas auf die Bremse.

Die Party findet in einem großen Haus statt. Dort sind auch noch andere Veranstaltungen, wir haben nur einen kleineren Raum gemietet, anhand der noch anwesenden Personen zu urteilen, ist es ein Klassentreffen. Manche habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen, die Begrüßung ist herzlich. Im restlichen Gebäude herrscht hektisches Treiben, man rüstet sich für eine Art Kunstausstellung. Epochenübergreifend wie es aussieht, Ölmaler aus dem Mittelalter installieren ihre wandfüllenden Werke während modernere Künstler Hologrammprojektionen vorführen. Ich habe mich etwas verirrt und versuche nach dem Weg zurück zum Klassentreffen zu fragen. Vergeblich, denn irgendwie scheine ich unsichtbar für die sehr geschäftigen Künstler zu sein. Ein unangenehmes Gefühl steigt in mir auf, um mich herum sehe ich weißen Kunststoff und sonst nur schwarz. Das Gefühl wird offensichtlich durch ein schrilles Geräusch verursacht. Mein Blick wandert durchs Cockpit in Richtung des roten Knopfes der zwischen den beiden Steueranlagen installiert ist. Ich strecke mich dorthin aus, drücke auf den Knopf und das Geräusch erlischt, ich bin wieder zurück aus dem Tiefschlaf, in den ich zwanzig Minuten zuvor gefallen bin. An den Etappenschlaf habe ich mich schnell gewöhnt. Bei guten Bedingungen bekomme ich in der Nacht so fünf bis sechs Stunden zusammen, meistens im Cockpit zusammengekauert auf einem kleinen Polster, und werde dabei regelmäßig vom ohrenbetäubenden Pfeifen des Alarms mitten aus den Träumen gerissen um Boot und Umgebung zu kontrollieren. Es dauert nur ein paar Augenblicke bis ich wieder voll da bin. Ein gründlicher Blick über den Horizont: kein anderes Schiff in Sicht. Der Radarwarner, der signalisiert wenn mein Boot von einem Radar erfasst wird, gibt keine Töne von sich. Blick auf den Windanzeiger: der Winkel stimmt noch, der Kurs auch in etwa, die Windstärke ist unverändert. Blick in die Segel: alles in Ordnung. Ich beuge mich durch die Kajütöffnung, drücke auf den Timer, und falle wieder in einen tiefen Schlaf. Für zwanzig Minuten.

Die Dusche tut gut. Nach fünf Tagen habe ich kaum etwas von meinen Wasserreserven verbraucht, in der mittaglichen Flaute opfere ich einen 10-Liter-Kanister für eine gründliche Waschung und fühle mich wieder frisch. Danach gibt es eine deftige Mahlzeit, Kartoffeltopf aus der Dose. Ich habe die letzten Tage nicht viel gegessen. Einmal am Tag überwinde ich mich, die Seekrankheit am ersten Tag hat mir jeglichen Appetit genommen. Aber essen ist wichtig, lieber zu wenig als gar nicht, denn auch so habe ich schon viel Energie verloren und die verbleibende Strecke ist noch lang. Ein Schiff der Küstenwache nähert sich, bleibt in etwa 100 Metern Entfernung für einige Minuten stehen, sonst ist weit und breit nichts zu sehen. Die Classe Mini informiert die Küstenwache über jeden, der zum Qualifikationstörn antritt. Sicherheit wird groß geschrieben und seit ich vor drei Tagen in Irland meine Position zuletzt per Handy durchgeben konnte bin ich nicht mehr im Empfangsbereich des Mobilfunks gewesen. Das Funkgerät bleibt still, man kommt offensichtlich zum Schluss, dass bei mir alles in Ordnung ist und fährt weiter.


Wenig später erreiche ich das Plateau von Rochebonne, dessen Markierungsbojen die nächsten Wegepunkte auf meiner Route sind. Von hier sind es nur noch ein paar Stunden bis La Rochelle, dann habe ich etwa zwei Drittel der Strecke bewältigt. Mit Code 5, Genua und Groß nehme ich Kurs direkt nach Osten und freue mich bald Land zu sehen - und endlich telefonieren zu können, wenigstens kurz, denn der Akku muss noch etwas halten. Doch zunächst stehen noch zwei seltsame Begegnungen an. Nummer eins ist ein kleines Flugzeug. Als erstes höre ich Motorenlärm, sehe mich um und erkenne einen kleinen Punkt in der Ferne, der näher kommt. Ich traue meinen Augen nicht, denn die Kleinmaschine fliegt nur knapp über der Wasseroberfläche, vielleicht in dreißig Metern Höhe, und hält direkt auf mich zu. Völlig perplex und ratlos sehe ich zu wie sie nur sehr knapp an mir vorbei fliegt, um nach wenigen Minuten von der anderen Seite zurückzukehren und nochmal genau dasselbe zu tun. Was für ein Idiot, denke ich mir. Der Vorgang wiederholt sich etwa zwanzig Minuten später, als ein anderes Segelschiff in meiner Nähe ist. Nach einiger Zeit höre ich den Piloten auf UKW-Kanal 16, er entschuldigt sich und erzählt irgendetwas von tollen Fotos, die sie gemacht hätten. Leider habe ich nichts davon. Die zweite Begegnung ist eine Gruppe von knapp 10 Delfinen. Der Wind hat etwas aufgefrischt, RIKKI TIKKI surft mittlerweile in gutem Tempo auf der Atlantikdünung und die Tiere haben großen Spaß daran, durch die Bugwelle zu schwimmen. So viel, dass sie für eine ganze Stunde bleiben, perfektes Blauwassersegeln. In der Abenddämmerung erreiche ich die Ile de Re, die ich umrunden muss, und als ich unter der Brücke, die sie mit La Rochelle verbindet, hindurchfahre, ist es bereits Nacht. Die Stimmung ist bestens, von hier sind es nur noch zwei bis drei Tage, dann habe ich es geschafft. Jetzt bin ich mir sicher: aufgeben werde ich nicht mehr.

Die letzten drei Tage sind relativ ereignislos, mit wenig Wind für den Weg die Küste entlang von La Rochelle vorbei an der Ile d´Yeu, der Belle Ile und der Ile de Groix hinauf bis in die Bucht von Douarnenez zur letzten Bahnmarke. Einzig die beiden Durchfahrten durch den Raz du Sein, den ich im Rahmen der Trophée Marie-Agnès-Péron nur zu gut kennengelernt hatte, haben noch ein paar Adrenalinschübe zu bieten. Ich habe malerische Blicke auf die Küste vor Les Sables d´Olonnes und endlich die innere Ruhe um auch mal ein paar Seiten in einem Buch zu lesen, aber auch Zeichen fortschreitender Übermüdung. Das Gurgeln der Heckwelle, das Summen des Autopiloten, es verwandelt sich in das Stimmengewirr einer Party, in das etwas zu laut aufgedrehte Radio in der Nachbarwohnung, in Fetzen einer moderierten Volksmusikshow in der Ferne, während ich tagträume. Kann man das schon als erste Haluzinationen bezeichnen?
Die Ansteuerung von Lorient erreiche ich etwa um halb vier am frühen Montag Morgen, nach gut neuneinhalb Tagen. Wegen einer unangenehmen Erfahrung bei der Überführung von RIKKI TIKKI zurück nach Lorient im Anschluss an die Pornichet-Select-Regatta im April ist die Hafeneinfahrt hier so etwas wie mein Angstgegner, zumindest bei Nacht. In der vorgelagerten Bucht gibt es zwei Einfahrten, eine sehr schmale auf der östlichen Seite und eine etwas breitere auf der westlichen. Zwischen beiden liegen unmittelbar Felsen. Die Fahrwasser nähern sich einander an und vereinen sich kurz vor der Festung von Port Luis. Dort ist die engste Stelle mit der stärksten Strömung, man muss eine kleine Kurve fahren und gelangt dann in ruhigeres Wasser. Unzählige Markierungsbojen kennzeichnen die örtlichen Gegebenheiten, was es aber auch nicht leichter macht, die richtigen zu finden, noch dazu mit den im Hintergrund leuchtenden Lichtern des Hafens und der Stadt. Erleichtert biege ich ins Hafenbecken ein, vorbei an einer Riesenluxusyacht, am Groupama-Volvo-Ocean-Racer, am Groupama-Trimaran, in Richtung der Liegeplätze für die Minis. Keine Menschenseele ist zu sehen als ich um 4:19 festmache. Ungläubig blicke ich mich um. War´s das jetzt? Wirklich? Ich bin qualifiziert für das Transat? Die Spannung fällt ab, jetzt erst spüre ich den Grad der Übermüdung. Nur noch ein paar Schritte auf festem Boden, ich will wissen wie sich das jetzt anfühlt nach dieser langen Zeit.









Montag, 2. August 2010

1000-Meilen Qualifier geschafft

Gestern nacht war es soweit: um 4:19 habe ich mit RIKKI TIKKI in Lorient angelegt, nach 1034 gesegelten Meilen, solo und non-stopp. Am 23.07. war ich abends in Douarnenez gestartet und von dort an die Südküste Irlands, zurück an die Nordwestspitze Frankreichs, durch die Biscaya nach La Rochelle, wieder an die Nordwestspitze Frankreichs und entlang der Küste zurück nach Lorient gesegelt. Ein Erfahrungsbericht folgt demnächst.

Und das wichtigste: ich habe damit jetzt alle Qualifikationskriterien für das Minitransat 2011 erfüllt!!