Sonntag, 2. Mai 2010

Erste Soloregatta

Die Nervosität ist endlich verflogen, der Start relativ gut gelungen. Nicht ganz an der Linie, aber auf der richtigen Seite, gleich weggewendet und nun mit einer passablen Position im Mittelfeld muss ich zunächst aus der langen Bucht der Guérandaises hinaus und nördlich um Belle-Ile herum. Die Wendemarke habe ich kurz nach Eintreten der Dunkelheit erreicht, die Positionen der anderen Boote auf der anschließenden Kreuz sind gut anhand der Positionslichter zu beobachten. Ich wähle eine Route relativ nahe an der Insel, gemeinsam mit dem belgischen Teilnehmer. Andere Boote gehen wesentlich weiter von der Küste weg, aber Entfernungen sind im Dunkeln schwer einzuschätzen. Der Kurs Richtung Ile d´Yeu ist ein Anlieger, kaum taktische Optionen, gut für die erste Nachtruhe. Ich kann mir ein paar Schlafetappen gönnen, alle 30 Minuten weckt mich das ohrenbetäubende Pfeifen meines Spezialweckers. Ausschalter draußen am Steuer, es darf keine Möglichkeit geben einfach liegen zu bleiben.

Im Morgengrauen setze ich den Code Zero, der Wind hat etwas nach links gedreht, ich komme gut voran. Relativ dicht neben mir taucht das Boot 480 von Conrad Colman auf. In einer Bö luvt sein Autopilot mit einem Mal an. Ich kann gerade noch reagieren, selbst meinen Autopiloten ausschalten und ausweichen, dann kommt er an Deck gestürzt und grinst rüber: "Good morning, how´s it going?" - "Fine thanks." - "Excellent!" - und wieder abgetaucht.

Der Wind dreht langsam etwas weiter, ich schiebe den mühsamen Wechsel von Code Zero auf den großen Spi lange vor mit her. Zwei Boote haben ihn bereits gesetzt und sind etwas schneller, müssen aber auch hart kämpfen um Kurs zu halten. Dreht der Wind zurück, müssen auch sie wieder wechseln. Der Segelwechsel wird Zeit kosten, in der andere an mir vorbeifahren. Ist die Geschwindigkeit mit dem Spi wirklich so viel höher, dass sich das lohnt? Die Entscheidung wird mir abgenommen. Mit einem Ruck reißt die Befestigung des Code Zero vom Bugsprit, das Segel weht aus und landet z.T. im Wasser. Während ich den riesigen Berg Segeltuch in mein Cockpit einsammele, ihn nochmal setze um ihn mit der Rollvorrichtung zu einem handhabbaren Bündel zu packen, dies leider nur notdürftig schaffe, anschließend das Segel unter Deck bringe und endlich den Spi setzen kann, sind gefühlte 20 Boote an mir vorbeigefahren und ich befinde mich am Ende des Feldes. Nur noch sechs, sieben Boote hinter mir. Über Funk höre ich nun, wie jedes Boot seine obligatorische Positionsmeldung an den Leuchtturm von Ile d´Yeu beim Passieren abgibt, höre wie die Boote, die gerade noch neben mir waren, bereits dort sind.

Ab jetzt beginnt es schlechter zu laufen. Auf dem Vorwindkurs bei extrem leichtem Wind Richtung südlicher Wendemarke vor Les Sables d´Olonnes bekomme ich einfach keine ausreichende Geschwindigkeit ins Boot. Ich wundere mich wie die anderen eigentlich entgegen des normalerweise schnelleren Kreuzens vor dem Wind einfach geradeaus fahren und dabei trotz Wellengangs die Spinnaker kaum einzufallen scheinen. Ich selbst bekomme dabei keinen Druck in den Spi. Kurz vor der Wendemarke muss ich weitere drei Boote passieren lassen.

Das Hauptfeld hat sich auf den längeren Weg unter Land begeben und kreuzt dort zurück Richtung Ile d´Yeu. Zu weit weg um anschließen zu können, ich entscheide mich für die Option weiter draußen, kann ja kaum mehr was verlieren. In der Nacht zerstreut sich das Feld zunehmend. Die Entfernungen sind jetzt zu groß als dass man sich an anderen, v.a. den Locals, orientieren könnte um den schnellsten Weg zu finden. Das Rennen kommt jetzt in die erste psychisch schwierige Phase. Da ich kein anderes Boot sehen kann bekomme ich Zweifel. Bin ich um Stunden Letzter? Wie ist das Zeitlimit für den Zieleinlauf? Hektisch suche ich die Wettfahrtbestimmungen: 24 Stunden nach dem Zieldurchgang des ersten. Nur wo ist der gerade? Wenigstens die für die Qualifikation so wichtigen Meilen möchte ich sammeln. Endlich sehe ich am nächsten Morgen am Horizont doch wieder eine Silhouette der markanten Mini650-Segel. Es ist Conrad Colman, ich schöpfe Hoffnung. Den hatte ich ja im Mittelfeld verloren, habe ich über Nacht den Anschluss wieder gefunden?

Während es im Laufe des Vormittags bei strahlendem Sonnenschein richtig warm wird, tritt eine totale Flaute ein. Dümpeln auf der Stelle, südlich von Belle-Ile, nervtötendes Segelschlagen, ständig Ausschau: wo ist vielleicht doch ein Windstrich, der mich hier rausholt? Ein drittes Boot ist nun in Sicht. Über Funk laufen ständig Anfragen an die Regattaleitung nach einer möglichen Bahnverkürzung. Nein, keine Bahnverkürzung heißt es, nicht notwendig, denn einige Boote sind schon zwischen Quiberon und Belle-Ile und kommen gut voran. Nicht gerade ermutigend, einige nutzen nun die relative Nähe des Ausgangshafens und geben auf. Die Verlockung ist groß, aber nach über zwei Tagen jetzt die Qualifikationsmeilen nicht mitzunehmen wäre idiotisch. Als die Brise wieder einsetzt funkt mich Conrad an und fragt: "Do you continue?" - "Yes, sure!" - "Ok, let´s do it." Fünf Minuten später sehe ich ihn abdrehen und den Spinnaker setzen. "Hey Conrad, what are you doing?" - "I better prepare my boat for the Mini-Pavois. Good luck!". Selbstmotivation kann sehr anstrengend sein.

Mit der Dunkelheit wird der Wind stärker, wie überhaupt immer die letzten Tage. Auf dem Weg zur Ile de Groix, dem letzten Wendepunkt, steigt er auf knapp 20 Knoten an. Das heißt erstmal Reffen und mit passabler Geschwindigkeit von gut 6 Knoten Fortschritt machen, aber auch , dass ich nicht schlafen kann. Zu unruhig und bei Groix gibt es viele Felsen. Ich beginne zu rechnen, wenn es gut läuft kann ich morgen mittag in Pornichet sein, bei der aktuellen Windrichtung kann ich nach Groix den Spi setzen und dann geht es richtig schnell. Beim Runden von Groix setze ich wieder den obligatorischen Funkspruch an den Leuchtturm ab. Ich traue mich nicht zu fragen, ob ich tatsächlich letzter bin, nur die Motivation nicht gefährden. Leider dreht der Wind mit mir um Groix und so entpuppt sich die Strecke von Les Sables um alle Marken herum zurück nach Pornichet als die längste Kreuz meines Lebens. 150 Meilen direkter Weg, die gesegelte Distanz ist sicher fast die doppelte.

Zwischen Belle-Ile und Quiberon stirbt der Wind erneut. Das dritte Mal seit ich hier bin, ein absolutes Flautenloch. Ich beginne es zu hassen während mich der Gezeitenstrom immer näher an eine Felsengruppe treibt und die Werte auf dem Echolot langsam fallen: 25 Meter, 22 Meter, 19 Meter, 15 Meter... Muss ich jetzt auch noch den Anker werfen? Das andere Boot in meiner Nähe, Tolgar auf der Nr. 737, das ich gut im Griff hatte, als noch Wind da war, treibt der Gezeitenstrom nach vorne, mich nach hinten. Als der Wind am späten Nachmittag wieder einsetzt, immerhin rechtzeitig um mir den Ankereinsatz zu ersparen, sind die Positionen getauscht und er schon ziemlich weit entfernt, vor Pornichet nicht mehr einzuholen.

Noch 15 Meilen bei 2-5 Knoten Wind, Ankunft nicht vor Mitternacht. Die lange Bucht vor St. Nazaire ist hell beleuchtet, die Orientierung in der Dunkelheit fällt schwer, da die beleuchteten Tonnen nur schwer von Ampeln oder Straßenlaternen zu unterscheiden sind. Neben der Ziellinie, die von den beiden Ansteuerungstonnen von Pornichet gebildet wird, sind unter Wasser Felsen, ich gehe auf Nummer sicher, taste mich langsam ans Ziel heran und will erst dann durchfahren, wenn ich mir absolut sicher bin. Über Funk habe ich meine Ankunft angekündigt, das Motorboot der Regattaleitung kommt für meine Ankunft aus dem Hafen. Als ich die Linie endlich ausmachen kann und meine Segel dichthole sehe ich gerade noch wie ein weiteres Boot darauf zuläuft, mit guter Geschwindigkeit. Ich kann nicht mehr verhindern, dass mich Andy Abel auf der Ziellinie überholt, 30 Sekunden schneller nach dreieinhalb Tagen, ich hatte ihn auf der langen Zielkreuz nicht gesehen, auch keine Ankündigung der Zielankunft über Funk gehört.

Um 1:33 beende ich als letzter gewerteter Teilnehmer (ein Proto kommt nach mir außerhalb des Zeitlimits an) das Rennen, bin aufgrund der Platzierung etwas frustriert und zugleich überglücklich meine erste Solosegelerfahrung noch dazu über mehrere Tage und unter Wettkampfbedingungen gemacht zu haben. Vielleicht war meine Erwartung ganz ohne praktische Vorbereitung beim Sprung ins kalte Wasser gleich Anschluss ans Mittelfeld halten zu können etwas hoch gegriffen.